Freitag, 23. März 2012

Sarrazin 2.0 im sachsen-anhaltischen Landtag?

Eine Erklärung von Linksjugend ['solid] und SDS.Die Linke Magdeburg

"Ich bin der Auffassung, dass unser Streben nach Chancengerechtigkeit im Sinne einer Zielchancengerechtigkeit Grenzen hat, Grenzen, die durch unsere genetische Disposition determiniert wurde, auch von manchen Zeitgenossen so explizit gewollt sind." (Jürgen Weigelt)

In der gestrigen Plenumsdebatte zur Bertelsmann-Studie im Landtag Sachsen-Anhalts entglitt dem CDU-Abgeordneten und bildungspolitischen Sprecher Jürgen Weigelt dieser fürchterliche Satz. Weigelt entwickelte diese an Sarrazin und andere Hobby-Eugeniker erinnernde These am Ende seiner Rede zum Tagesordnungspunkt 22a "Der "Chancenspiegel" der Bertelsmann Stiftung - Schlussfolgerungen für Sachsen-Anhalt - Aktuelle Debatte". Zuvor machte insbesondere Birke Bull (DIE LINKE) deutlich, dass die Situation in Sachsen-Anhalt prekär ist: Kinder aus gehobenen und "bildungsnahen Schichten" hätten eine vier Mal höhere Chance, das Abitur am Ende ihrer Schullaufbahn zu erreichen, als andere Kinder. "Das Bildungssystem in Sachsen-Anhalt liegt schief, sozial schief" so Bull. Dementsprechend gering sind die Bildungschancen für Kinder aus sozial schwächeren und "bildungsfernen" Familien.

Dass ein hohes Maß an Bildungsungerechtigkeit herrscht, ist hinlänglich bekannt. Auch Weigelt betonte anfangs, dass die Politik und BildungspolitikerInnen stärker auf "diese Schichten" zugehen müssten, relativierte dies aber im nächsten Atemzug mit der Warnung, nicht zu sehr in die Erziehungshoheit der Familien einzugreifen. Wenig später gelangte er zur glorreichen Erkenntnis, "dass gute Schulabschlüsse der Schlüsselfaktor sind, um im Berufsleben erfolgreich zu sein". Auch hier offenbart sich wieder Weigelts feines Verständnis für die wichtigen Fragen der Bildungspolitik. Doch zurück zum oben genannten Zitat. Der Abgeordnete Weigelt ist also der Meinung, dass eine "Zielchancengerechtigkeit" an Grenzen stoßen würde, nämlich an genetische Grenzen. Mit anderen Worten: diese Form der Chancengerechtigkeit ließe sich nicht herstellen, da es eben genetisch dumme Menschen gäbe, bei denen Hopfen und Malz sowieso verloren sei. Er argumentiert also biologistisch und kramt sämtliche Bildungsressentiments aus der Mottenkiste, die wissenschaftlich nicht haltbar sind. Wie Claudia Dalbert von den Grünen richtigerweise feststellte, verweisen sämtliche maßgebliche Studien darauf, dass eine genetische Veranlagung vollständig durch die Schaffung sozialer Rahmenbedingungen wettzumachen ist und ohnehin nur zu einem geringen Prozentanteil die wirkliche Intelligenzentwicklung oder den Bildungsweg beeinflusst.

Herr Weigelt begibt sich durch die Aufwärmung dieser Genetik-These auf riskantes Terrain. Letztendlich negiert er sämtliche sozialen und kulturellen Faktoren, indem er von "genetischen Determinanten" spricht. Das ist nicht nur inakzeptabel, sondern äußerst gefährlich, insbesondere mit Blick auf die Gefahren pseudowissenschaftlicher Ansätze und deren Rückwirkungen in der Gesellschaft. Die Geschichte des Nationalsozialismus und deren sozialdarwinistischen gesellschaftlichen Vorstellungen sollten uns warnend vor Augen führen, dass biologische Zuschreibungen nicht nur in der Ausgrenzung von Menschen enden können.

"An dieser Stelle mögen zwei Fragen erlaubt sein: Handelt es sich dabei um das Menschenbild und den Bildungsansatz der gesamten CDU-Fraktion und wie konnte so jemand bildungspolitischer Sprecher werden?" fragt Robert Fietzke von der Linksjugend ['solid] Sachsen-Anhalt. "Es bleibt abzuwarten, welche Konsequenzen die CDU-Fraktion durch diese Entgleisung zieht. Fakt ist eines: die Regierung darf sich nicht länger mit Nichts-Tun begnügen, sondern muss endlich plausible Konzepte zur Beseitigung der massiven Bildungsungerechtigkeit in diesem Land vorlegen. Mit einem bildungspolitischen Ansatz, wie ihn Weigelt zu verfolgen scheint, ist aber eher ein langes Aussitzen der Probleme zu befürchten, frei nach dem Motto "jeder ist seines eigenen Glückes Schmied" so der Jugendkoordinator des Landesverbandes zum Abschluss.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen