Donnerstag, 31. Januar 2013

Das neue Polizeigesetz: auf dem Weg in den Überwachungsstaat?

Am Dienstag, den 29. November, luden wir die innenpolitische Sprecherin der LINKEn-Landtagsfraktion, Henriette Quade, zu einer Informationsveranstaltung zum neuen Polizeigesetz ein, an der rund 30 Interessierte teilnahmen. Nach einem 25-minütigen Input zu den wesentlichen Änderungen in der Gesetzesnovelle wurde rege diskutiert. Wir haben einen 45-minütigen Videomitschnitt hochgeladen:


Infoveranstaltung zum neuen Polizeigesetz Sachsen-Anhalt (29.01.13) from Linksjugend.Magdeburg on Vimeo.


Das neue Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG) klingt auf den ersten Blick ganz gut: Polizeibeamt_innen sollen besser geschützt werden und die Überwachungsmaßnahmen nur "in absoluten Gefahrenfällen" angewandt werden. Doch durch unkonkrete Formulierungen im SOG eröffnen die Möglichkeit zur missbräuchlichen Auslegung der Gesetze. Außerdem kommt im neuen SOG hinzu, dass auch die Grundrechte auf Unverletzlichkeit des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses und auf Versammlungsfreiheit eingeschränkt werden dürfen. Damit ist diese Gesetzesnovellierung ein weiterer Schritt auf dem Weg zum Überwachungsstaat. In der Folge stellen wir die wesentlichen Änderungen vor. Hierzu wird demnächst auch eine Informationsbroschüre veröffentlicht.


Zwangstests bei Verdacht auf Infektionskrankheiten wie HIV oder Hepatitis C

Vorgeblich zum Schutz von Polizist_innen, Sanitäter_innen oder Feuerwehrmenschen sollen künftig Zwangstests auf Infektionskrankheiten wie HIV oder Hepatitis C durchgeführt werden können. Wann ein Verdacht auf eine Infektionskrankheit besteht, wird dabei völlig willkürlich festgelegt. Vor allem sogenannte "Risikogruppen" geraten dabei ins Visier: gesellschaftliche Minderheiten wie Migrant_innen, Wohnungslose oder Homosexuelle. Inwiefern beispielsweise einem Menschen die Homosexualität am Äußeren anzusehen ist, wissen wahrscheinlich nur die Befürworter_innen des Gesetzesentwurfs.

Diese Praxis stigmatisiert ganze Menschengruppen. Sie stellt gesellschaftliche Minderheiten unter den Generalverdacht, in besonders hohem Maße infektiöse Krankheiten zu verbreiten. Darüber hinaus sind derartige Zwangsmaßnahmen ein erheblicher Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Ein Zwangstest gegen den Willen des_der Betroffenen ist letztlich nichts anderes als Körperverletzung. Völlig Absurd ist auch die Tatsache, dass eine zeitnahe sowie sichere Feststellung einer solchen Infektion nicht realisierbar ist, weil ein sicherer Nachweis der HI-Viren erst nach drei Monaten erfolgen kann und die Auswertung von Blutproben in der Regel etwa zwei Wochen in Anspruch nimmt. Es besteht also kaum die Möglichkeit, um Viren sicher abgrenzen zu können, soweit der Test nach einer möglichen Infektion erfolgen soll, da die Verabreichung eines Virenblockers innerhalb von höchstens 72 Stunden erfolgen muss. Hinzu kommmt, dass die vorherige Beratungspflicht zu den genannten Krankheiten nicht wahrgenommen wird. Dabei sind solche Tests bereits jetzt im Rahmen des Strafgesetzes möglich.


Videoüberwachung bei Verkehrskontrollen


Bei normalen Straßenverkehrskontrollen soll die Polizei nun die Befugnis erlangen, die Kontrollierten per Videokamera filmen zu können. Begründet wird dies mit einer angeblich steigenden Anzahl von tätlichen Übergriffen auf Polizeibeamt_innen bei Straßenverkehrskontrollen. Gefilmt werden dabei allerdings nicht nur die nnen der Fahrzeuge, Passant_innen oder andere Unbeteiligte, die im Sichtfeld der Kamera sind.

Davon betroffen sind vorrangig auch Anreisende bei Großdemonstrationen. Es ist zu befürchten, dass das umfangreiche Videomaterial zur Registratur von Aktivist_innen dient. 

Hinzu kommt der Verdacht, dass diese Neuregelung die "1-Mann-Streife", wie es sie beispielsweise in den USA gibt, vorbereiten soll. Sie ist also nicht nur ein unzulässiges Repressionsmittel, das Unbeteiligte Menschen mitfilmt, registriert und Druck erzeugen soll, sondern auch ein Instrument des Personalabbaus bei der Polizei.

Abschaltung von Mobilfunkmasten und anderen Kommunikationsmöglichkeiten

Die Neuauflage des SOG ermöglicht es der Polizei auch ohne richterliche Anordnung bei einer nicht näher definierten Gefährdungslage Telekommunikationsdienste, wie beispielsweise das Handynetz, abzuschalten. Zusammen mit der Befugnis sogenannte IMSI-Catcher einzusetzen, die das Mithören und -schneiden von Mobilfunkkommunikation ermöglichen, wappnet sich die sachsen-anhaltinische Polizei damit offensichtlich für kommende Großdemonstrationen. Abhörskandalen wie aus Dresden, die bundesweit geächtet wurden, werden hierdurch Tür und Tor geöffnet. Auch sächsische Gerichte haben bereits den Einsatz dieser Überwachungsmethoden als unrechtmäßig erklärt.

Mobilfunkdienste und damit möglicherweise auch Notrufe bei einer Gefahrenlage zu unterbinden, stellen einen nicht hinnehmbaren Eingriff in die Freiheit der Kommunikation eines jeden Mitmenschen dar. Die genaue Einschränkung konnte selbst von den Verfassern des Gesetzesentwurfs nicht defeniert werden. Technische Möglichkeiten die bereits jetzt vorhanden sind und kaum Einschränkungen bringen bzw. nur auf wirkliche Gefahrensituationen ausgerichtet sind werden von der Regierung nicht in Betracht gezogen.

Sperrstunden/Alkoholverbote

Mit der Umgestaltung des SOG soll auch das "Feierabendbier" oder die Party im Park Tabu werden. Die Koalition argumentiert auch hier wieder mit Sicherheitsbedenken. Sie wolle den Konsum von Alkohol an öffentlichen Orten einschränken, da dieser vemehrt zu Straftaten führe.

Verbote lösen jedoch keine Probleme, sie verdrängen sie lediglich aus dem öffentlichen Raum. Und genau das ist auch das Ziel: marginalisierte Menschen-gruppen wie Alkoholkranke oder vermeintlich "störende Jugendcliquen" sollen aus den Innenstädten ver-drängt werden - zu Gunsten des "Stadtbildes". Dies ist jedoch ein erheblicher Eingriff in die Selbst-bestimmtheit des Lebens der Menschen. Zudem trifft diese Regelung vor allem Menschen, die sich das Getränk in der Kneipe oder Gaststätte nicht leisten können. Der vorgelegte Entwurf zeigt in diesem Punkt lediglich, dass bestimmte missliebige Menschengruppen zu Gunsten eines vermeintlichen Sicherheits-gewinns unterdrückt werden sollen, anstatt ihnen wirkliche Problemlösungen und Perspektiven anzu-bieten und hierfür auch das entsprechende Geld in die Hand zu nehmen. Auch die dahinterstehende Vorstellung, der Staat müsse sämtliche Bereiche des Lebens in dieser Art und Weise "ordnen" und "regeln" ist schlichtweg autoritär


Einsatz von Staatstrojanern

2008 schuf das Bundesverfassungsgericht hohe Hürden für den Einsatz von Späh- und Schnüffelsoftware. Es entwickelte dabei quasi ein neues Grundrecht: die Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. 

Ende 2011 deckte der Chaos Computer Club (CCC) auf, dass der sogenannte "Bundestrojaner" die vom BVerfG gesetzten Grenzen deutlich sprengt: "Die untersuchten Trojaner können nicht nur höchst intime Daten ausleiten, sondern bieten auch eine Fernsteuerungsfunktion zum Nachladen und Ausführen beliebiger weiterer Schadsoftware. Aufgrund von groben Design- und Implementierungsfehlern entstehen außerdem eklatante Sicherheitslücken in den infiltrierten Rechnern, die auch Dritte ausnutzen können." Expert_innen gehen unterdessen davon aus, dass die Implementierung eines in legalen Rahmen operierenden Staatstrojaners unmöglich ist [1].

Der sachsen-anhaltischen Landesregierung ist das egal. Sie schafft mit dem neuen Polizeigesetz die Rahmenbedingungen für diesen rechtswidrigen Einsatz von Staats- oder Bundestrojanern und anderen Ausspähprogrammen.

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