Vor
einigen Wochen haben wir auf einem Plenum beschlossen, eine "große
Friedensdemonstration" zur aktuellen Lage in Syrien zu organisieren, die
keine "Tag-X-Demonstration" , also erst dann passiert, wenn ein Militärschlag NATO-
geschieht, sondern unabhängig vom weltpolitischen Geschehen
durchgeführt wird. Wir wollten unserem eigenen Anspruch gerecht werden
und agieren, statt nur zu reagieren. Ursprünglich sollte die
Demonstration am 07. September stattfinden, wurde dann aber aufgrund
organisationstechnischer Schwierigkeiten - wir alle stecken ja gerade
auch im Wahlkampf - auf den 14. September verschoben. Etwa 1,5 Tage nach
unserem Mobilisierungsstart - die Plakate waren bereits gedruckt -
erreichte uns die erste Hiobsbotschaft: die "Bucktopianer" wollen
zeitgleich eine Endzeit-Demonstration durchführen, auf der gleichen
Demoroute.
Diese neuerliche Terminkollision war insofern ärgerlich, weil unser Termin bereits über sämtliche Netzwerke kommuniziert worden war und eben vorher feststand. Nach ein paar Absprachen wurde der Demonstrationsbeginn der "Bucktopianer" - auch wir unterstützen Bucktopia 2013 mit einer Live-Performance - dann um eine halbe Stunde nach vorne verlegt. Trotzdem: solche Überschneidungen sind für Magdeburg fast schon typisch und müssen in Zukunft unterbunden werden, denn das ohnehin schon geringe Mobilisierungspotential darf nicht noch gespalten werden. Bei dieser Kritik nehmen wir uns selbstverständlich nicht aus
Diese neuerliche Terminkollision war insofern ärgerlich, weil unser Termin bereits über sämtliche Netzwerke kommuniziert worden war und eben vorher feststand. Nach ein paar Absprachen wurde der Demonstrationsbeginn der "Bucktopianer" - auch wir unterstützen Bucktopia 2013 mit einer Live-Performance - dann um eine halbe Stunde nach vorne verlegt. Trotzdem: solche Überschneidungen sind für Magdeburg fast schon typisch und müssen in Zukunft unterbunden werden, denn das ohnehin schon geringe Mobilisierungspotential darf nicht noch gespalten werden. Bei dieser Kritik nehmen wir uns selbstverständlich nicht aus
Ein Shitstorm von Bellizist*innen
Wenige
Stunden nach Eröffnung einer öffentlichen Facebook-Veranstaltung mit
dem Titel "Für einen nachhaltigen Frieden in Syrien" begann der
Shitstorm. Bellizist*innen, also dogmatische Befürworter*innen
militärischer und kriegerischer Lösungen, posteten uns Zitate wie
"Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder - Paul Spiegel"
oder Beschimpfungen u
auf die Seite. Ein Mensch bezeichnete uns gar als "Friedensnazis" und
wünschte sich, dass wir von syrischen Flüchtlingen mal ordentlich .
Anhand der Anzahl der "likes" für diese Beiträge war recht schnell
ersichtlich, dass die Kommentierenden auf ihren eigenen Profilen
ordentlich zu diesem Shitstorm mobilisierten. Völlig unvorbereitet auf
den Hass, der uns nun entgegenschlug, versuchten wir einen Weg zu
finden, die Debatte über Sinn und Unsinn von militärischen
Interventionen am Beispiel Syriens in vernünftige Bahnen zu lenken.
Leider, wie sich bald herausstellte, waren wir die einzigen, die ein
Interesse an einer sachlichen Diskussion hatten. Fast 200 Kommentare
später - in der Zwischenzeit hatte sich daraus, wie kann es auch anders
sein, eine Nahost-Debatte über Israel, Palästina, Zionismus und den BAK
Shalom entwickelt - wurde der entsprechende Post dann aus Versehen und
unwillentlich gelöscht. Bis dahin waren wir uns noch sicher, dass wir
nichts zensieren würden. Als dann aber Einzelpersonen öffentlich bedroht
und diffamiert wurden und gar von Strafanzeigen geredet wurde, sahen
wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion zu sperren und die Hetzbeiträge
zu löschen. Einige Personen versuchten dennoch weiterhin, unsere Seite
mit sinnfreien Beiträgen wie "Islam stinkt" zu trollen. Aus einer
Moderation wurde also eine ständig notwendige Löschaktion.
Aus der Demonstration wird eine Kundgebung
Wir
alle hatten am entsprechenden Samstag das Bauchgefühl, dass kaum jemand
zur Demonstration kommen würde. Viele Absagen aus dem eigenen Verband
sind dafür immer ein guter Indikator. Die weltpolitischen Zeichen
standen glücklicherweise auf Diplomatie und Verhandlung, was allerdings
das Interesse, an der Demonstation teilzunehmen, abschwächteallerdings schade,
denn der Krieg wird nicht erst zum Krieg, wenn die USA interveniert.
Der Bürgerkrieg tobt dort weiterhin. Jeden Tag. Es sterben täglich bis
zu 100 Menschen - und ein Ende des Mordens ist nicht in Sicht. Gründe,
um auf die Straße zu gehen, gab es also auch an diesem Samstag.
Unser
Bauchgefühl sollte uns nicht enttäuschen: als gegen 16 Uhr sich nur
etwa 30 Menschen eingefunden hatten, beschlossen wir, die Demonstration
zur stationären Kundgebung umzufunktionieren. Kurz vorher gab es noch
einen Disput mit der Polizei, die uns androhte, die Kosten des Einsatzes
auf uns abzuwälzen, weil die Demonstrationsanmelderin zu spät gekommen
sei - ein klarer Fall von Einschüchterung. Die Polizei war übrigens mit
sechs Sixpacks und etwa 40 Beamt*innen vor Ort, was angesichts der paar
Leute, die den Weg zur Kundgebung gefunden hatten,
Gleich
zu Beginn fiel uns ein "Linker" mit roter Hammer- und Sichel-Flagge und
"Palituch" [1] inmitten einer Gruppe von anderen Linken auf, der dann
später noch eine Nationalflagge der Arabischen Republik Syriens
schwenkte und eine Diskussion mit uns begann, was wir denn machen
würden, wenn seine Kumpels aus Frankfurt mit Assad-Postern kämen. Wir antworteten, dass Assad-Freaks hier nichts zu suchen hätten und dies die falsche Demo für Diktatorenfans sei,
woraufhin er sich tierisch aufregte und begann, Assad zum lupenreinen
Demokraten zu verklären, der sich ja nur gegen Terroristen wehre und
nicht etwa die Zivilbevölkerung abschlachte. Die anderen
Gruppenmitglieder konnten wir nicht zu- oder einordnen.
Eine Gegendemo von FSA-Unterstützer*innen
Etwa
zeitgleich sammelten sich etwa 20 - 25 Menschen ein paar Meter entfernt
von unserer Kundgebung. Auch sie offenbarten nationale Symbole wie
Fahnen und Schals, allerdings von der Syrischen Republik. Diese Fahne
wird von der oppositionellen Freien Syrischen Armee (FSA) genutzt, die
zusammen mit anderen Gruppierungen
gegen Assad kämpft. Dann kam Wulf Gallert, Fraktionsvorsitzender der
LINKEn im Landtag von Sachsen-Anhalt, der den ersten Redebeitrag hielt
und eindringlich appellierte, diplomatische und friedliche Lösungen militärischen vorzuziehen.
Währenddessen fing der "linke" Assad-Fan an, die sunnitischen
FSA-Unterstützer*innen als Terroristen zu bepöbeln. Er schrie sich in
Rage, woraufhin einige Anarchist*innen und Linksradikale einschritten,
um mit ihm zu diskutieren und ihn von weiteren Dummheiten abzuhalten.
Die gesamte Gruppe wurde aufgrund von Bierflaschenbesitzes von der
Polizei ein paar Meter wegkomplimentiert.
Während
des zweiten Redebeitrages versetzte die Polizei, ohne dass wir das
gewünscht oder gefordert hätten, auch die Gruppe der
FSA-Unterstützer*innen, um ein paar Meter nach hinten, wo sie scheinbar
eine Eilkundgebung anmeldeten. Nun disputierten die unterschiedlichen
Gruppierungen untereinander, weswegen die Anzahl der
Kundgebungsteilnehmer*innen auf ein Minimum .
Die Situation eskalierte dann während unseres dritten Redebeitrages,
als ein Mann direkt zum Mikrofon kam und laut schrie, ob wir denn
wüssten, was es bedeute, Kinder, Freund*innen und Familie zu verlieren,
was wir natürlich verneinten, denn nicht einmal ansatzweise vorstellbar
ist das Leid, das der Bürgerkrieg in Syrien den Menschen zufügt. Als der
Mann immer aggressiver wurde und beruhigende und auf Verständigung
abzielende Worte unsererseits erfolglos blieben, kamen vier
Polizist*innen, die die Situation und den Mann zur FSA-Gegendemo brachten. Der dritte Redebeitrag wurde dann noch mehrfach von Sprechchören unterbrochen, die ein militärisches Einschreiten
der
USA forderten. Allem Anschein nach zählten uns die syrischen
Flüchtlinge zum Assad-Unterstützerlager, wozu wir definitiv nicht zählenwas
wir ihnen dann auch zuriefen. Indes waren immer wieder Pöbeleien des
Assad-Freaks zu vernehmen, die immer lauter und aggressiver daherkamen.
Jene, die ihn zu beruhigen versuchten, hatten alle Hände voll zu tun. Für uns war die Kundgebung zu diesem Zeitpunkt schon komplett gescheitert. Wir waren auf vieles vorbereitet, aber das haen wir nicht erwartet.
Augenzeugenberichte
M. berichtet:
"Der Rest der Kundgebung hatte sich ins skandieren oder diskutieren
verlagert. Sicherlich ein Fehler von uns, beide Lager nicht angehört zu
haben bzw. die Diskussion vorher mit ihnen gesucht zu haben. So wäre
anstatt einer Demo, eine Diskussionsrunde "Syrien, was kann die Lösung
sein?" wohl besser gewesen, wobei auch hier die emotionale Seite, die
auch auf der Demo rauskam, schwer zu händeln ist. In Zukunft sollten wir
zu den Themen die uns wichtig sind, mehr mit lokalen Akteuren zusammen
arbeiten, besonders auch der radikalen Linken. Wissen und Einsichten
können nur so auf alle übertragen werden."
Einschätzungen von Ma.: "Während
der Demo hatten sich drei syrische Mitbürger zu den Zuhörern gestellt.
Mit einem der Mitbürger ergab sich ein sehr inhaltsreiches und
fruchtbares Gespräch über seine Familie (der Bruder ist noch in Syrien
und will auch nicht weg, die Schwester ist nach Ägypten geflohen), über
die aktuelle Lage und wie es ist seine Heimat zu verlieren und nicht
wieder hin zu können. Das Gespräch war für mich eine sehr angenehme,
aber auch sehr mitfühlende Erfahrung, die zeigt, wie gering doch der
Einblick aus dem fernen Mitteleuropa auf die Situation in Syrien ist."
Nach Beendigung der Kundgebung gingen zwei von uns auf die FSA-Leute zu. R. schreibt hierzu: "Sogleich
begaben wir uns zu den FSA-Unterstützer*innen, die lautstark gegen
unsere Kundgebung protestierten, um das Gespräch zu suchen, was die
Polizei zunächst, irrerweise, zu unterbinden versuchte. Nach einem
kurzen Geplänkel mit einem Polizisten konnten wir uns dann austauschen
und eine andere Perspektive auf den Konflikt bekommen. Wir haben
unaufgeregt, aber emotional debattiert und klar gerückt, dass wir
keinesfalls Assad-Unterstützer*innen sind, denn das Gegenteil ist der
Fall. Am Ende haben wir Kontaktdaten ausgetauscht und vereinbart,
gemeinsam eine (ergebnis)offene Diskussionsveranstaltung, vielmehr ein
Gespräch, zum Syrien-Konflikt zu veranstalten. Wir sind froh darüber,
dass unser Gesprächsangebot sofort dankend angenommen worden ist. Uns
alle eint die Hoffnung, dass das massenhafte Abschlachten von Menschen
in Syrien endlich aufhört, nur die Vorstellungen eines Wegs dorthin
unterscheiden sich. Wir erkennen demütig an, wenig Kenntnis von der
tatsächlichen Situation vor Ort zu haben. Wir dürfen uns niemals
anmaßen, den Konflikt besser beurteilen zu können, als die Kriegsopfer,
Hinterbliebenen und Flüchtlinge, die in täglichem Kontakt mit ihrer
Familie oder ihren Freund*innen in Syrien stehen. Insofern sind wir
sehr dankbar für dieses fruchtbare Ende. Gemeinderatsmitglieder der
islamischen Gemeinde haben außerdem darauf hingewiesen, dass sie zurzeit
eine Ausstellung mit Fotografien aus dem Bürgerkriegsgebiet
organisieren, die in Bälde im Eine-Welt-Haus zu sehen sein soll."
P. fasst dieses Gespräch in folgende Worte: "Nach
dem Ende gingen R. und ich zu den FSA-Leuten. Zwar fand ich gut, dass
wir reden konnten, doch gefiel mir die Art des Argumentierens des
"Leitswolfs" nicht. Er schob alle Verbrechen der syrischen Armee zu,
erklärte die FSA zu Befreiern und schimpfte auf Aleviten und nannte eine
Grupper Syrer, welche mit uns redeten und nicht zur FSA-Gruppe
gehörten, "Lügner"."
...und noch ein kleiner Shitstorm
Am Abend veröffentlicht ein Mitglied unserer Gruppe eine erste Zusammenfassung der
Geschehnisse. Daraufhin meinte jemand, der sich offensichtlich
angesprochen fühlte, uns sowie Wulf Gallert mit einem kleinen Shitstorm
überziehen zu müssen: "Verpisst euch, ihr
demagogischen Opfer imperialer Desinformationen, Bewusstseinstrügung und
Kriegstreiberei. Ihr seid keine "linken" Revolutionäre. Ihr seid
systemkonforme, finanzkapitalistische Subjekte im Leben des
monopolkapitalistischen, gesellschaftlichen Seins. Ihr seid eine Schande
für die deutsche Friedensbewegung- und für die gezeichnete,
gegenwärtige deutsche Linke. Das widert mich an." Unterstützung bekam er dabei von Chris Sedlmair, einem antizionistischen Diktatorenfreak - seine Lieblinge: Saddam Hussein, Gaddafi und Assad - der glücklicherweise aus der Linkspartei ausgeschlossen worden ist: "Solange
FSA-Unterstützer in der "LINKEN" sind, ist diese faschistische
unterwandert und unwählbar. Solidarität mit dem syischen Volk, seiner
Armee und seinem Präsidenten. Kampf der FSA heißt Kampf dem Faschismus,
Imperialismus und der feudalen Reaktion."
Am Ende war klar: mit unseren differenzierten ositionen,
die ohne den gewohnten Sprachduktus des 19. oder 20. Jahrhunderts
auskommen, sind wir Opfer eines Shitstorms der sich diametral
entgegenstehenden politischen Lager geworden, auf der einen Seite einige
dem antideutschen
Spektrum zuzuordnende Kriegsbefürworter*innen, auf der anderen Seite
"Anti-Imps", also dogmatische Anti-Imperialisten. Für die einen reicht
zur Legitimation jeglicher Militärintervention, dass das ja damals bei Hitler auch mit Kriegsgewalt geklappt hätte, für die anderen ist der "Imperialistische Westen" oder "Das Imperium" die einzige Erklärung. Die zahlreichen Schattierungen,
die individuellen Rahmenbedingungen, die jeweils unterschiedliche
Konfliktsituation und die immer neue Mächtekonstellation scheinen
irrelevant zu sein; oder sie werden im Tunnelblick des Dogmas schlichtweg nicht mehr wahrgenommen. Uns bestärkt das jedenfalls in unserem Weg, uns gegen jegliches Strömungsdenken z
und Lösungswege jenseits dieser einengenden Denk- und Analyseschemata
zu suchen. Ein erster Schritt wird die bereits angesprochene öffentliche
Diskussionsveranstaltung sein, die wir zusammen mit der Islamischen
Gemeinde Magdeburg organisieren werden. Dort soll ergebnisoffen und
vorwurfsfrei diskutiert werden, denn Kommunikation und Verständigung ist
der erste Weg zu einer friedlichen Lösung, die Syrien doch so dringend n hätte.
Es lebe der Käse mit dem Loch in der Mitte.
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